Mein Neuanfang ist vegan

Eigentlich brauche ich gar keinen Neuanfang. Alles ist gut, das weiß ich, ich kenne mich aus mit Nicht-Gut und Neuanfängen. Ich bin ein Mensch der Neuanfänge. Seit Jahren bewältige ich damit Krisen aller Größenordnungen. Kleine Neuanfänge über Heiß- Duschen und Schlafen, große Neuanfänge über Haare schneiden, sehr radikale Neuanfänge mit sehr radikalem Haare schneiden. Zwei der drei Mal, als ich eine Kurzfrisur hatte, war Ausdruck eines Neuanfangs. (Beim dritten Mal war es eine Dauerwellen, die meine Haare zerstört hat.)

Wenn mich etwas nervt, meistens an mir, mache ich so lange weiter, bis ich es nicht mehr aushalte, bis ich mein Gesicht im Spiegel nicht mehr ertrage. Und dann räume ich um, kaufe mir neue Ohrringe, schneide meine Haare und fange von vorne an – ein Neuanfang. Aber ein Neuanfang geht nur, wenn ich einen richtiggehenden Hass auf das Heute und Jetzt entwickelt habe. (Silvester als Neuanfang hat mich daher nie überzeugt.) Deshalb warte ich auch. Weil ich nur dann Energien habe, irgendetwas zu ändern. Weil – das habe ich gelernt – Veränderungen sind immer anstrengend. Immer und überall und für einen Selbst und für das Umfeld. Von der Grundtendenz möchte niemand eine Veränderung. Man weiß, wen man vor sich hat, man weiß er so „tickt“. Veränderungen bedeuten, dass man das überdenken muss. Und für einen selbst bedeutet es: raus aus der Routine, rein in etwas Neues. Aber gleichzeitig wissen wir alle: große Veränderungen sind eine Illusion. Manche schlechte Eigenschaften kann man ablegen, manches besser machen. Im Grund aber, bleiben wir, wir. Vielleicht ist das Trost. Vielleicht auch Entmutigung. Ein Neuanfang reicht nicht. Ich habe vermutlich wenigstens fünf gebraucht, um nicht alles immer krankhaft aufzuschieben und auf den letzten Drücker zu machen.

Aber diesmal ist es anders. Ich stehe im Wind von fremdem Neubeginn. Ich bin zu glücklich um Ziele zu formulieren. Weil ich zwar mehr Sport machen sollte, aber ich kein Bedürfnis dazu habe.

Und der Neubeginn in dem ich stehe und der mich glücklich macht – ist vegan. Erst haben wir die Abstellkammer ausgeräumt, sauber gemacht, angefangen eine Speisekammer einzurichten alte Vorräte aussortiert und vegan wieder eingekauft. Bisher haben wir zwei Tage an dem Projekt: Vegane Speisekammer gearbeitet, es wird wohl wenigstens weiter drei brauchen. Wenn das nicht anstrengend ist?

Da das vegane Essen sehr gut schmeckt, ich umkocht werde und sowieso mehr Vegetarier als Fleischesser bin, leide ich kein Stück darunter. Für mich alleine hätte ich kaum den Nerv so viel Zeit auf mein Essen zu verwenden, aber ich erfreue mich den Energien eines anderen und stelle mir vor, dass das Essen gesund und ethisch richtig ist. Was will man mehr?

Ich könnte die ganze Zeit grinsen und weiß nicht, ob es das glücklich-machende- vegane Essen ist oder der Zukunftsoptimismus eines Neuanfangs. Vielleicht auch beides.

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