Liebe ist ein Thema, das mich seit langer Zeit fasziniert. (Interessanter Weise vermutlich so lange wie das Thema Tod.) Das Thema ist vermutlich zu groß und komplex die Gedanken und Gefühle, die in mir ohne Wortboote wabern, um sie nun mit einer Hand in Wortkleidung zu tippen, während die andere Hand das Kind stillend an die Brust hält. Aber wer weiß, wann ein Zeitpunkt kommt, der so frei ist von Zwängen, dass ich einen Text in der Qualität formuliert bekäme, der meinen Fähigkeiten entspräche. Vielleicht passt es auch so, denn das Thema „Liebe“ bekommt mit den Kindern eine neue Facette, besonders mit einem Neugeborenen.
Vielleicht ist diese Liebe die reinste. Nicht im Sinne von: man liebt dieses Kind mehr als jeden anderen Menschen auf der Welt. Nein, im Sinne von: es gibt keine Gedanken, die dieses reine Gefühl verfälschen. Bei meinem Mann könnte ich aufzählen, wieso ich ihn liebe. Ich sage paradoxe Sätze wie: ich liebe dich dafür, dass du mich liebst. Ich kann all seine Qualitäten aufzählen. Bei meiner großen Tochter, die immer noch klein ist, kann ich schon viel über ihren Charakter sagen und meine Begeisterung darüber äußern, kann sagen, dass dies Gründe sind, sie zu lieben. Aber die Kleine tut, was Kleine tun. Sie freut sich, mich zu sehen, aber nicht weil sie meinen Charakter schätzt. Meine Ratio wird kaum erklären können, wieso ich dieses Menschlein liebe. Das brachte mich zu der Annahme, dass Liebe im Grunde bedeutet: sich am Sein des Anderen zu erfreuen. Wie man sich an der Schönheit der Welt erfreut. An meinem Mann und den Kindern erfreue ich mich wie an einem schönen Garten. An meinen Geschwistern wie am Grant Canyon. Er ist nicht vor der Tür, aber ich weiß, es gibt ihn und die Welt ist schön, weil es ihn gibt. Die Liebe ist die Fähigkeit das Gegenüber in seiner wundersamsten und schönsten Form wahrzunehmen. Die Liebe macht mein Gegenüber zu einem Wunder, mit allen Ecken und Kanten. Oder im Falle eines Neugeborenen mit allen Potenzialen.
Liebe hat etwas mit der Seele zu tun. Wäre das nicht der Fall, gäbe es sicher nicht so viele Bücher und Filme darüber. Aber seit Anbeginn der Zeit ging es in den Geschichten um die Liebe. Seelen finden in der Liebe zusammen. Ich denke, es ist früh festgelegt, wen wir lieben werden und wen nicht. Die Seelen passen oder sie passen nicht. Für mich ist Freundschaft auch Liebe und es ist kaum möglich, befreundet zu sein, wenn es nicht passt. Womöglich existiert die Liebe, bevor wir den anderen treffen und wenn es passt, macht es klick, weil man sich erkennt. Liebe geht auch nicht wieder weg, weil sich Wege trennen. Wer einem mal etwas bedeutete hat, wird einem niemals ganz egal sein. Geschwister gehen auf die Beerdigung ihres Bruders, auch wenn es Jahrzehnte keinen Kontakt gab. Kinder auf die Beerdigung der Eltern, mit denen sie gebrochen haben. (Mir ist klar, ich generalisiere hier und sicher gibt es viele Gegenbeispiele.)
Ich liebe Geschichten, wie Ehepartner sich gefunden haben, Häufig sind es zufällige Begegnungen bei Tanzabenden, in Banken oder beim Einkaufen. Diese Geschichten der ersten Begegnungen sind voller Details, als hätte etwas in uns selbst gewusst, dass dieses Gesicht oder dieser Name etwas bedeutet. Als hätten Seelen sich erkannt. Ich würde gerne ein Buch voller erster Begegnungen schreiben mit all den Zufällen, denen es bedurfte, dass zwei Menschen sich finden, die dann fünfzig oder mehr Jahre zusammen sind.